Massaker von My Lai: „Ich würde sagen, wir haben sie erledigt“ - WELT (2024)

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Sergeant Ronald L. Haeberle diente als Fotograf der US Army in Südvietnam, als er für den 16. März 1968 einen scheinbar alltäglichen Auftrag erhielt: Er sollte die Company C, 1. Bataillon, 20. Infanterieregiment, 11. Brigade, 23. Infanteriedivision bei einem Einsatz gegen Vietcong-Guerillakämpfer in My Lai in der Küstenprovinz Quang Ngai begleiten und dabei den „Body Count“ dokumentieren. Darunter verstand die US-Führung die Zahl der getöteten Feinde als wichtige Kennziffer für den militärischen Erfolg, der nach der Tet-Offensive des Vietcongs im Januar 1968 wichtiger denn je war. Nach vier Stunden konnte Haeberle die Tötung von 504 Vietnamesen fotografieren: das größte Massaker von US-Truppen an Zivilisten.

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Der Ort My Lai wurde zum Symbol der brutalen Kriegführung in Vietnam und zum Wendepunkt des Krieges. Denn Haeberle verkaufte seine Aufnahmen für 50.000 Dollar an das US-Magazin „Life“, das die Bilder im Dezember 1969 schließlich veröffentlichte. Amerikas Öffentlichkeit war entsetzt und wandte sich zunehmend gegen einen Krieg, der nicht nur nicht zu gewinnen schien, sondern der die G.I.s offensichtlich zu einer mörderischen Soldateska verbog. My Lai öffnete die Augen für den Schrecken, den fast ein halbe Million Soldaten im Dschungel Südostasiens erlebten, erlitten – und veranstalteten.

Seit Wochen hatten die Männer der C-Company versucht, ihre Quoten im Body Count zu erfüllen. Doch der Gegner entzog sich ihnen geschickt im Urwald, wo Scharfschützen, Minen und Sprengfallen lauerten. „Pinkville“ nannten die G.I.s sarkastisch die Gegend. 40 Mann, ein Drittel der Einheit, waren bereits verwundet oder getötet worden. Längst verhielten sich die Südvietnamesen, auf deren Seite die Amerikaner doch zu stehen meinten, reserviert bis feindlich. „Man begann sich zu fragen, wer auf welcher Seite stand“, erinnerte sich Fred Widmer, Funker der C-Company.

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Als sich die Truppe für ihren Einsatz vorbereitete, erklärte ihnen ihr Kompaniechef Hauptmann Ernest Medina: „Wenn es ein Haus ist, zündet es an; wenn es ein Brunnen ist, vergiftet ihn; wenn es lebt, tötet es.“ In diesem Sinn erhielt jeder G.I. dreimal so viel Munition wie üblich – 540 Schuss pro Mann. Damit, so Medina, sollten seine Leute ihren „gesunden Menschenverstand“ bei der anstehenden Säuberung gebrauchen. Helicopter brachten die Männer am frühen Morgen nach My Lai.

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Doch statt des erwarteten 48. Vietcong-Bataillons trafen die Soldaten nur auf unbewaffnete Bauern und ihre Familien. Ob aus Enttäuschung, um ihre Rache zu befriedigen oder den Body Count doch noch zu erfüllen: Die G.I.s begannen umgehend ein Massaker. Die Soldaten mähten die Menschen mit MGs nieder, erstachen sie mit dem Bajonett, sprengten ganze Gruppen mit Granatwerfern in die Luft oder verbrannten sie in ihren Hütten. In völliger Enthemmung vergewaltigten US-Soldaten auch Mädchen und Frauen, bevor sie ihre Opfer töteten.

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Haeberle hielt das Morden mit der Kamera fest. Ein Knäuel menschlicher Körper auf einem Feldweg, darunter viele Babys und Kleinkinder; eine weinende Frau stellt sich schützend vor ein kleines Mädchen, dem die Panik im Gesicht steht. „Sekunden später wurden sie erschossen“, berichtete Haeberle. Vier Stunden dauerte das Morden, zählt man die befohlene Lunchpause mit.

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Als der Hubschrauberpilot Hugh Thompson zu einem Aufklärungsflug über dem brennenden My Lai eintraf, war ihm sofort klar, dass sich da unten ein Kriegsverbrechen abspielte. In einem Wassergraben sah er rund 100 tote Zivilisten. Er sah auch, wie Captain Medina auf eine angeschossene Vietnamesin eintrat und mit seiner M16 auf die Frau feuerte. Thompson entschloss sich zur Landung. Ein Dutzend Menschen bewahrte er vor dem Tod, indem er den Verfolgern drohte, seine Bordschützen auf sie schießen zu lassen – und die Vietnamesen im Hubschrauber evakuierte.

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In Briefen an das Weiße Haus und Mitglieder des Kongresses schrieb der Vietnamveteran Ron Ridenhour, im Zivilberuf Journalist, später, was ihm Teilnehmer des Massakers berichtet hatten: Man ließ die Verwundeten und Sterbenden einfach liegen. „Es war klar, dass sie keine Hilfe bekommen würden“, habe ihm einer der G.I.s erzählt. „Ich würde sagen, wir haben sie erledigt.“

Damit setzte Ridenhour eine interne Untersuchung der Operation in Gang, bei der nach offizieller Darstellung nur „rund 20 Zivilisten unbeabsichtigt ums Leben gekommen“ waren. Die Ermittlungen führten im Herbst 1969 zur Anklage von Leutnant William Calley als befehlshabendem Offizier des 1. Platoon der C-Company. Doch erst der Bericht des investigativen Journalisten Seymour Hersh (der dafür den Pulitzer-Preis erhielt) in „Life“ und die Fotos von Ronald Haeberle brachten das Blutbad an die Öffentlichkeit: Amerikas „Kampf für die Freiheit“ hatte aus ganz normalen Amerikanern enthemmte Kindermörder und Vergewaltiger gemacht. Hunderttausende gingen in Washington und San Francisco gegen den Vietnamkrieg auf die Straße.

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Dennoch konnte sich US-Präsident Richard Nixon nicht zu einem harten Durchgreifen entschließen. Captain Medina berief sich auf höhere Befehle und wurde von einem Militärgericht freigesprochen. Auch Leutnant Calley argumentierte mit dem Befehlsnotstand, wurde aber zu lebenslanger Haft verurteilt. Umgehend wandelte Nixon die Strafe in einen Hausarrest um und begnadigte ihn schließlich. Erst 2009 zeigte Calley in einem Vortrag so etwas wie Bedauern: „Ich fühle Reue für die Vietnamesen, die getötet worden sind, für ihre Familien, für die amerikanischen Soldaten, die dabei waren, und für deren Familien.“

Das Pentagon richtete eine Arbeitsgruppe ein, die „Vietnamkriegsverbrechen“ aufarbeiten sollte. Sie förderte mehr als 300 Vorwürfe von Übergriffen an den Tag, von Massakern über Folter und Vergewaltigungen bis hin zu Brandschatzungen und Verstümmelungen. Einige Dutzend Soldaten wurden angeklagt, die meisten nach relativ kurzer Zeit wieder begnadigt.

Doch es wurde deutlich, dass der Krieg in Vietnam auch mit solchen Methoden nicht zu gewinnen war. Im Januar 1973 unterzeichneten die Vereinigten Staaten das Pariser Abkommen und zogen sich aus dem Land zurück. Ende April 1975 verließen die letzten US-Soldaten fluchtartig Saigon.

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